Die Jahreslosung 2021: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ - Auslegungen von Katrin Wilzius vom CVJM LandesVerband Hannover, Christian Berndt vom evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Wolfsburg-Wittingen und Helmuth Bruns von der evangelisch-Reformierten Kirche in Wolfsburg

Katrin Wilzius, Landes-sekretärin des CVJM-Landes-verbandes Hannover

„Vom Umgang mit dem Nächsten“. So ist der Abschnitt in der Bibel überschrieben, aus dem die Jahreslosung für 2021 herausgenommen ist. Er steht in der sogenannten „Feldrede“, an anderer Stelle auch „Bergpredigt“ genannt. Jesus gibt seinen Zuhörern in seiner Rede diverse Lebensregeln mit auf den Weg. Allgemeingültige Regeln, die das Zusammenleben verbessern und die zur Verbesserung der eigenen Wahrnehmung beitragen. Kurz: Regeln zum besseren Umgang mit Gott, mit den Mitmenschen und mit uns selbst. Manche davon sind mittlerweile als Sprichwörter quasi Allgemeingut – wie zum Beispiel das vom Splitter im Auge des Bruders und vom übersehenen Balken im eigenen Auge.

 

Über dem neuen Jahr steht nun ausgerechnet die Aufforderung zur Barmherzigkeit! Ein Vers, den ich auch schon mal überlese in der inhaltlichen Fülle der Feldrede. Als ob die Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen - die die Auswahl der Jahreslosung jeweils drei Jahre im Voraus trifft – genau gewusst hat, welchen Leitvers wir im Jahr 2021 besonders brauchen würden. Ich finde das großartig und herausfordernd zugleich!

 

Barmherzigkeit ist definiert als eine Eigenschaft des menschlichen Charakters. Sie gilt als eine der Haupttugenden und wichtigsten Pflichten der monotheistischen Religionen sowie anderer Religionen wie Buddhismus und Hinduismus. Im Judentum, Christentum und Islam wird die Barmherzigkeit Gottes zudem als herausragende Eigenschaft Gottes angesehen.

 

Wenn ich in den letzten Tagen und Wochen die Nachrichten schaue oder die Zeitung lese, wird mir immer wieder deutlich, wie sehr die Welt in diesen Tagen genau diese Barmherzigkeit braucht. So viele Not und Leid, soviel Neid und Missgunst, oft auch Rücksichts- und Gedankenlosigkeit, über die dort berichtet wird.

 

Und dann fällt mein Blick auf dieses Bibelwort, diese Aufforderung – die zugleich eine Zusage ist. Wenn ich darüber nachdenke, fallen mir viele Begriffe ein, die Synonyme für Barmherzigkeit sein könnten: Mitgefühl, Nachsicht, Mildtätigkeit, Rücksicht, Hilfsbereitschaft, Neidlosigkeit, Selbstlosigkeit, Einfühlsamkeit, Gnade, Geduld und noch so viele mehr.

 

Und dann kann ich wieder zuversichtlich nach vorne schauen, auch die positiven Dinge sehen. Die vielen Menschen, die an vielen kleinen Orten auch heute die Welt gestalten und mit ihrem Engagement zum Positiven verändern. Zum Glück sind die Nachrichten immer nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit. Was letztlich trägt, finde ich hier neben mir auf dem Sofa, vor der Haustür, aktuell auch in so mancher Videokonferenz, digitaler Nachricht oder ganz altmodisch auf der Postkarte im Briefkasten und dafür bin ich sehr dankbar. In diesem Sinne AMEN und ein gesegnetes, barmherziges Jahr 2021!

Christian Bernd, Super-intendent des evangelisch-lutherischen Kirchen-kreises Wolfsburg-Wittingen

Herz zeigen

 

Kennen Sie die Geschichte vom „barmherzigen Samariter“? Wo ein Mann aus dem Land Samarien einen Fremden rettet, der unter die Räuber gefallen ist. Der namenlose Helfer versorgt die Wunden des Verletzten, bringt ihn an einen sicheren Ort und bezahlt sogar noch für seine Pflege. Und er macht das, ohne dass er mit dem Verletzten verwandt, befreundet, bekannt ist oder in irgendeiner anderen Beziehung zu ihm steht. Eher das Gegenteil: Die beiden gehören sogar zwei unterschiedlichen Religionsgemeinschaften an, die sich gegenseitig geringschätzen.  Der Samariter hilft also einfach so und ist damit „barmherzig“.

 

Diese Geschichte ist mir sofort eingefallen, als ich das biblische Motto für das neue Jahr gehört habe: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Lukas 6,36) Diese Aufforderung stammt wie die eben erzählte Geschichte von Jesus. Die Aussage ist klar: Ich soll barmherzig gegenüber anderen Menschen sein. Und das heißt nicht nur mitfühlend sein oder Verständnis für die Not anderer zeigen, sondern aktiv etwas tun. Nicht nur Herz haben, sondern Herz zeigen.

 

Diese sogenannte Jahreslosung für 2021 scheint wie ausgesucht in Zeiten einer globalen Pandemie. Überall brauchen Menschen besonders viel Herz. Der Spruch von Jesus wurde jedoch schon vor vier Jahren ausgewählt. Aber ob Zufall oder göttliche Vorhersehung: mehr Barmherzigkeit ist unser aller Auftrag. Und zugleich unser aller Zuspruch. Denn im zweiten Teil des Satzes heißt es: „wie auch euer Vater barmherzig ist.“ Dieser Teil kann leicht überlesen werden – ist aber mindestens genauso wichtig wie der erste. Jesus sagt hier: Gott, unser Vater, ist barmherzig uns gegenüber! Und weil Gott uns barmherzig zur Seite steht, können wir auch barmherzig sein – zu anderen und auch zu uns selbst. Wenn Gott ein Herz für mich hat, mich so nimmt wie ich bin – mit all meinen Macken und Fehlern –, warum sollte ich mich nicht selbst durch diesen liebevoll-herzlichen Blick sehen können … und andere Menschen auch? Und dann ist der Schritt vom herzlichen Sehen zum herzlichen Tun ein ganz kleiner.

 

 


Helmuth Bruns, Pastor der evangelisch-reformierten Kirchen in Wolfsburg

 

Ich möchte Ihnen gerne die Worte der Jahreslosung 2021 mit auf den Weg geben: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. 

 

Das diesjährige Losungswort stammt aus dem Lukasevangelium. Jesus spricht darüber, was es heißt seine Nächsten zu lieben. Großzügig zu sein ist nur ein Aspekt von Nächstenliebe. Jesus benennt weitere: nicht richten, nicht verdammen, vergeben und geben. All das ist Ausdruck von Barmherzigkeit oder von Mitleid. Das meint, dass ich mit meinem Empfinden bei meinem Gegenüber bin, dass ich mit meinem Gegenüber mitempfinde. Genauso ist Gott, sagt Jesus. Der empfindet mit euch mit.

 

Wir sind aufgefordert darin Gott nachzueifern. „Seid in eurer Barmherzigkeit Gottes Ebenbilder”, sagt uns Jesus, denn Gott hat uns Menschen zu seinem Ebenbild erschaffen. Schon die Schöpfungsgeschichte erzählt, dass wir Gottes Ebenbild sind. Und Gott ist ein barmherziger Gott.

 

Aber so knapp Jesus hier auslegt, was Barmherzigkeit ist, so hoch ist doch der Anspruch, der damit verbunden ist. Nicht richten, nicht verdammen, vergeben, geben. Aber beim Drüber-Nachdenken frage ich mich: Jesus, hast Du das wirklich so gemeint? Nicht richten?

 

Geben, vergeben, nicht verdammen – dass du das von uns willst, das leuchtet ein.


Wir sehen die, die unsere Hilfe brauchen: Die Älteren und Einsamen, die jetzt in besonderer Weise von der Pandemie betroffen sind. Die Geschäfte und Künstler, die in wirtschaftliche Not geraten sind. Wir sehen die Flüchtlinge, die vor der Not in ihrer Heimat fliehen. Jeder von uns kann diese Liste sicherlich noch ergänzen. Hier sind wir gefordert mit viel Phantasie und Einfühlungsvermögen zu Geben.

Zu Geben bereichert unser Zusammenleben mit Nachbarn, Freunden, Bekannten, Kollegen und auch mit Fremden. Dass wir geben müssen, damit unser Zusammenleben gelingt, das lässt sich verstehen. Das ist aber nicht nur eine Einbahnstraße. Jesus sagt: Gebt, so wird auch euch gegeben. Häufig passiert es zu einem ganz anderen Zeitpunkt in einem ganz anderen Zusammenhang, dass du Hilfe brauchst und dann ist plötzlich jemand da und unterstützt dich, gibt dir, was du gerade brauchst, aber nicht hast.

Wir sollen nicht verdammen sagt Jesus. Es ist wahrzunehmen das Ablehnung und Verurteilungen zunehmen. Flüchtlinge, Asylbewerber, Muslime, Homosexuelle – Menschen, die nicht den vorherrschenden gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechen, werden verstärkt mit Vorurteilen belegt. Radikale Stimmen werden leider, wie im amerikanischen Wahlkampf, gerne gehört. Hier müssen wir sehr sensibel sein und gezielt dagegenwirken, weil sonst das gesellschaftliche Klima erheblichen Schaden nehmen könnte.

Wir dürfen das Gemeinwesen, in dem wir leben, mitgestalten. Nicht ängstlich mitgestalten, nicht Sorgen und Vorurteile schürend, sondern vertrauensvoll und mutig, gebend, vergebend, den Ausgleich suchend, sich in andere einfühlend.
Wir können und dürfen auch mal etwas Neues probieren, nach Leuten Ausschau halten, mit denen wir unsere Ideen umsetzen könnten, auf sie zugehen, sie ansprechen – in unserem Wohnviertel, an unserem Arbeitsplatz, dort, wo wir unsere Freizeit verbringen. Ich vermute wir werden erleben, dass es gut wird, dass Gott es gut macht! Vertrau’ drauf!

 

Ich wünsche Ihnen allen, auch im Namen des Kirchenrates, ein gesegnetes Jahr 2021 und bleiben sie behütet!